Reisebericht Kiel - Freiburg - Basel - München - Kiel vom 03.07. - 09.07.2015

 

Mal wieder unterwegs auf der Vespa...

 

Es war warm in Kiel. Ungewöhnlich warm. Nicht heiß, denn dafür geht hier immer ein stetiger Wind von der See aus, der kühlend durch die Stadt bläst, aber es war dennoch ein selten schweißtreibendes Wetter. Alle Fenster in der Wohnung standen offen, so wie sie es sonst nie taten, um den Wind frei hindurch zu lassen und ihn für Frische sorgen zu lassen. In diesem Windzug, der die ohne ihn kaum erträglich, laue Sommerluft milderte, saß ich an meinem Computer. Eigentlich sollte ich meine Abschlussarbeit in Chemie und Geographie schreiben, damit ich bald Gymnasiallehrer werden kann. Aber an diesem Nachmittag überfiel mich die Erinnerung an die letzte Vespareise. Pfingsten. Ich war aufgebrochen, um von Kiel an den Bodensee auf ein großes Vespatreffen zu fahren. Eine lange, unsichere Reise auf einem unsicheren Gefährt, welches erst kurz vor Abfahrt richtig rund lief. So schwelgte ich in der warmen Sommerluft in Erinnerungen an diese Tour und begann sie zu Papier zu bringen. Die Wörter sprudelten nur so aus mir heraus. Schließlich war diese Tour äußerst ereignisreich und eindrucksvoll gewesen. Und während ich schrieb, wurde die Sehnsucht in mir wach. Das Fernweh wurde immer größer. Und das Heimweh nach meiner alten Heimat: meinem Geburtsort Freiburg im Breisgau, im schönsten aller Länder, dem Badnerland! Ich konnte nicht an mich halten. Ich schickte den halb fertigen Reisebericht an das große Vespaforum, im dem ich mir durch meine weiten, gewagten Reisen schon einen Namen und viele Freunde gemacht habe, ging in den Keller, und begann mein Bordwerkzeug zusammenzupacken.

In der folgenden, schwüle Nacht vermochte ich kaum zu schlafen, so sehr drängte die Abenteuerlust.

Im Sonneaufgang begann ich, den Vespamotor eines Freundes, der ihn kürzlich in meine Obhut gegeben hatte, zu überholen und zusammenzubauen. Am Abend war er fertig und zu Abholung bereit. Er kam spontan vorbei und überreichte mir freudestrahlend den Lohn meiner Mühe. Die Reisekasse klingelte. Benzingeld für einige hundert Kilometer, wenn nicht sogar tausend Kilometer.

Es konnte beginnen.

Schlafsack, Zelt, Werkzeug, Ersatzteile, selbst gelöteter Messing-Benzinkanister, ein paar wenige Klamotten, Lederjacke, Helm, dünne Handschuhe, Schal, Nierengurt, Zahnbürste und Rasierer. Aufgezurrt. Die Vespa war bis zur Erschöpfung bepackt. Ein paar Stunden Schlaf, dann der lieben Freundin und den besten Freunden schnell bescheid gesagt, und schon war es an der Zeit für die Abfahrt ins Ungewisse.

 

Der Motor sang, knallte und schepperte aus Kiel heraus auf die offene Weite der Autobahn. Ein einsamer Vagabund unter der stechenden Sommersonne. Am frühen Morgen entfaltete sie noch nicht ihre ganze Kraft. Also zog ich den Gashahn bis zum Anschlag. Die Tachonadel vibrierte und schlug wild hin und her. Mit etwa 120 Km/h schoss ich auf der kleinen, hellblauen Vespa vorbei an LKWs, Bussen und langsamen Autos. Der Motor heulte. Schon 60 Kilometer geschafft! Der Süden wartete auf mich, Gas gegeben, das Leben will gewonnen sein. Doch mit einem Schlag stockte der Geschwindigkeitsrausch. Die Drehzahl sackte ab, der Motor rumpelte und nahm kein Gas mehr an. Schnell die Kupplung gezogen! Der Motor starb sofort ab. Hinter mir kam der LKW bedrohlich nahe. Mitten in einer Baustelle auf der A7 zwischen Kiel und Hamburg rollte ich aus. Kein Seitenstreifen, keine Nothaltebucht. Hinter mir ein bedrohlich großer Laster, der die Warnblinklichter einschaltete und zum Funkgerät griff. Bis auf wenige Zentimeter ragte seine Stoßstange an mein Kennzeichen heran. Fast hätte er mich in voller Fahrt bei Hundert Kilometern pro Stunde touchiert, bis seine Bremsen griffen und die vielen Tonnen Fracht an Geschwindigkeit verloren. Ein Glück, dass der Fahrer rechtzeitig angebremst hatte, sonst wäre es übel ausgegangen, nicht auszumalen! Ich überlegte so schnell ich konnte. Ein Kolbenklemmer? Nein, sonst hätte das Hinterrad blockiert. Zündversagen? Unwahrscheinlich, sonst hätte es lauter geknallt und Flammen wären durch die Fehlzündungen aus Vergaser und Auspuff geschossen. Benzinmangel? Ich hatte doch getankt! Die Autos begannen zu hupen, sie konnten nicht vorbei da die Autobahn hier in der Baustelle zu eng war. Ich zog den Choke und trat auf den Kickstarter. Kein Erfolg. Nochmal. "Komm schon", dachte ich, "Lass mich nicht im Stich!". plötzlich heulte der Motor auf, als sei nicht gewesen. Die hupenden Autos und den großen, wartenden LKW im Nacken, ließ ich bei Vollgas die Kupplung kommen. Die Vespa stieg vorne hoch, wie ein wilder gewordener Gaul und hätte mich fast abgeworfen. Mit quietschendem Hinterrad und schreiendem, gradverzahntem Getriebe schoss das Gefährt, wie von Wespen gestochen los, hinter mir die verdutzte Kolonne. Ab nun kein Dauervollgas mehr. Das mochte meine Vespa wohl nicht bei diesen Temperaturen.

Hamburg flog näher. Die Sonne wurde stärker. Der Tank wurde leerer, genau wie mein Magen. Ich hatte einmal bei dezenter Fahrt den Verbrauch ermittelt. Ich rechnete mit etwa 3,5 Litern auf 100 Kilometern. Weit gefehlt! Zur Sicherheit fuhr ich nach Hamburg die erste Raststätte mit Tankstele in den Harbuger Bergen an. Genau auf der Autobahnabfahrt, magerte der Motor ab und heulte los, ohne dass ich Gas gab. Dann ging er aus. Stille. Ich rollte genau bis an die Zapfsäule. Als ich den Tankdeckel öffnete, sah mir gähnende Leere entgegen. Sogar der letzte Tropfen war seinen Weg in den Vergaser hinab gelaufen oder durch die immer drückendere, hohe Lufttemperatur verdunstet. Punktlandung. Ich konsultierte die Kartenfunktion meines Handys. Das Navi sagte mir, dass ich haargenau 110 Kilometer mit einer Tankfüllung gefahren war. Ohje, das konnte ja noch was werden, bei der unregelmäßigen Tankstellendichte auf dieser Autobahn.

Bereits nach dieser Strecke schmerzten mir schon Nacken, Knie und natürlich der Allerwerteste. Durch die Vibrationen des 133ccm großen Einzylinders wurde die Gashand immer wieder taub und gefühllos, so dass ich die Kupplung ziehen musste, die Hand vom Gas nehmen und ausschütteln musste, bis wieder genug Blut hindurch floss und sich die Muskeln und Nerven kurz erholen konnten. Ich fuhr nur nach Schildern. Die ungenauen Kilometerangaben und Tankstellenweiser bargen immer die Gefahr, verbotenermaßen trocken zu laufen. Jedes Mal wenn ich zum Rasten oder Tanken abstieg, konnte ich erst kaum Laufen, so sehr hatte die Vibration den ganzen Körper betäubt und verkrampft. Ich hörte auf die Kilometer zu zählen. Es wurde Mittag und langsam war es nicht mehr warm, sonder heiß. Sehr heiß, über 40°C im Schatten!

Das war ich als Wahl-Kieler nun schon lang nicht mehr gewohnt. Der Schweiß strömte. Ich traute mich aber nicht, ohne Lederjacke, Handschuhe und Helm zu fahren. Viel zu gefährlich! Erst im Frühjahr war ich von diesem Fahrzeug bei nur 30 Km/h unfreiwillig abgestiegen und hätte mir ohne das schützende Leder mit Sicherheit unangenehme Verletzungen zugezogen. Das wollte ich natürlich nicht riskieren. Sogar einen Schlauchschal hatte ich um den Hals, damit mir keine Insekten in den Helm oder in den Kragen fliegen konnten.

Es war so unglaublich heiß. Nicht einmal der Fahrtwind brachte wirkliche Erleichterung, auch er war warm, als ob man sich mit einem Haarföhn auf höchster Stufe den Kopf trocknete. In großer Voraussicht hatte mir ein Freund einen Trinksack mitgegeben, aus dem man durch einen Schlauch während der Fahrt trinken konnte. Ohne dieses Utensil wäre ich wahrscheinlich verdorrt von der Vespa gefallen, wie eine überreife Kirsche vom Baum. So ging die Fahrt weiter, von Tankstelle zu Tankstelle, von Pinkelpause zu Pinkelpause. LKW hier, LKW da. Leitplanke, Mittelstreifen, Seitenstreifen, Begrünung, am Stau vorbei, stehen bleiben kommt bei der Hitze nicht in Frage, an Unfällen vorbei, überhitzte Fahrzeuge, liegen gebliebene LKWs, Bäume, Häuser, Landschaft, halb Deutschland, alles wurde kleiner im Rückspiegel.

Der Motor wurde immer heißer. Die Sonne brannte von oben und die Abwärme kroch von unten in mich herauf. Wieder stockte der Motor. Wieder ging er plötzlich aus. Irgendwie bekam er nicht genug Sprit. Wohl war die Gebläsekühlung mit der Leistungssteigerung, den langen Gaspassagen und der hohen Sommertemperatur überfordert. Der Zylinderkopf war so heiß, dass ein lautes Rattern ungewollte Glühzündungen im Brennraum ankündigte. Höchste Zeit für eine Pause für Maschine und Mensch. An einer Tankstelle rastete ich im Schatten. Das ganze Heck der Vespa konnte nicht angefasst werden, sonst verbrannte man sich die Finger. "Wer heiß fassen kann, kann auch heiß Lieben", pflegt meine Freundin zu sagen. Doch wer zu heiß fährt, fährt nicht lange. Sogar die Gummipuffer der Sitzbank begannen weich wie Kaugummi zu werden. Ich hätte mir ein Steak und ein paar Eier mitnehmen sollen, dann hätte ich mir eine prächtige Mahlzeit auf dem Blech braten können!

Aber es lagen noch 300 von 700 Km bis Heidelberg vor mir. Mehr Öl ins Benzin, vorsichtiger Fahren. Und weiter ging es. Keine LKWs mehr überholen, lieber dazwischen im Windschatten fahren, Sprit sparen, bergab die Kupplung ziehen, damit der Motor ausruhen konnte.

In den Kassler Bergen musste ich mehrfach in den dritten Gang zurückschalten, damit der Motor genug Kraft hatte, die Steigungen zu bezwingen. Aber sonst lief er schön und gleichmäßig, wenn man ihm nicht gnadenlos Vollgas abverlangte.

Völlig erschöpft kam ich abends kurz nach 20 Uhr in der Nähe von Heidelberg bei einem befreundeten Vespafahrer an.  Er empfing mich mit offenen Armen. Seine zwei kleinen Söhne schliefen schon, aber wir saßen dann noch in der Sommerhitze des Südens eine Weile auf der Terrasse und philosophierten über das Vespafahren, Motoren, das Leben, die Familie und den lieben Gott. Bis ich dann in meinem Schlafsack einschlief. Um kurz darauf wieder aufzuwachen. Vor lauter wärme war kaum an Schlaf zu denken. Ich musste mir ein nasses Handtuch auf den Kopf legen um schlafen zu können. Mann war ich empfindlich geworden...

 

Und schon wieder wachte ich auf. Ich sah auf das Handy, 6 Uhr 30. Viel zu früh. Aber einer der kleinen Jungs meines Gastgebers stand neben mir und fragte zu dritten Male: "Wikinger aus dem Norden, schläfst du noch? Schläfst du noch?" Ohje. Aber was solls. Ich wollte ja eh früh weiter. Kaffee, Brötchen, Vespagespräche, zwei kleine Söhne die auf mir rumturnten, herzliches Bedanken, Händeschütteln, Abfahrt.

Die Autobahn war mir am Vortag zu Kopf, nun, da mein Ziel Freiburger in nicht mal mehr 200 Kilometern Entfernung lag, konnte ich getrost auch mal die gewundenen Landstraßen fahren. Aber schon nicht einmal 50 Kilometer südlichöstlich von Heidelberg begann der Motor zu husten. Es war noch wärmer als am Tag zuvor. Der schleichende Ölverlust machte sich bemerkbar und auch der Spannungsregler für die Lichtanlage hatte versagt. Also hielt in an, füllte Getriebeöl nach und wechselte ein paar Glühbirnen. Auch die Zündkerze musste getauscht werden, schließlich hatte sie schon gestern Mucken gemacht und Aussetzer provoziert. Einmal mit Ölkohle zugesetzt, springt der Funken nur och sporadisch. Sogar abbürsten bringt nicht immer Verbesserung. Langsam wurden die Ersatzteile knapp.

Da erinnerte ich mich an einen Vespaladen in erreichbarer Nähe! Bereits auf der Tour an Pfingsten von Kiel an den Bodensee und zurück, hatte ich zufällig diesen Laden entdeckt, doch er war leider aufgrund des Feiertags geschlossen gewesen. Auch damals hätte ich gut und gerne einige Ersatzzündkerzen brauchen können. Vielleicht hatte ich ja diesmal Glück. Das Handy mit der praktischen Google-Funktion und Navigationssystem wies mir den Weg bis vor den Laden. Bereits nach der heutigen, kurzen Strecke, war ich schon wieder ziemlich erschöpft. Also klingelte ich, fragte freundlich nach Zündkerzen, Getriebeöl und Glühbirnen, und ob ich meine abgefahrenes Hinterrad im Hof wechseln dürfe. "Für die alte Kiste? Nein, ich glaube nicht!", sagte der Ladenbesitzer, ein freundlicher, älterer Herr. Aber zum Glück stellte sich heraus, dass es sich um universelle, heute noch verwendete Dinge handelte, die er sogar vorrätig hatte. Er erlaubte mir sogar, im Schatten zu schrauben und eine Weile zu rasten. Und das, obwohl eigentlich schon Ladenschluss war! Nun, vorsorglich war alles nötige an Bordwerkzeug mit auf die Reise gegangen, so dass ich nicht noch um Werkzeug bitten musste. Das wäre wohl auch zuviel des guten gewesen. Und wie heißt es so schön? "Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott!"

 

Nach einer guten Stunde schrauben und fluchen, war das Hinterrad gewechselt. Das ganze Gepäck lag um die Vespa verstreut. Sogar der verchromte Rennauspuff hatte weichen müssen, damit das Hinterrad zugänglich war. Ihn wieder einzuhängen, war keine Freude. Mir rann der Schweiß. Aber endlich gelang es. Nach einem kühlen Getränk und einer kleinen Stärkung von der Tankstelle gegenüber, konnte das Gepäck wieder aufgezurrt werden und die Vespa war startbereit. Ich bekomme immer mehr Routine in diesen Dingen, da ich viel Reise. Gute Organisation ist der halbe Erfolg.

Also verabschiedete ich mich bei dem Ladenbesitzer, füllte die Tanks, riss die Vespa an und machte mich mit brüllendem Motor auf die Weiterreise nach Freiburg. Die Landstraße zog sich in glühender Hitze durch Offenburg. Dann wich ich ein wenig nach Osten aus, um in die ersten Ausläufer der Schwarzwaldes zu kommen. Ich hoffte, dass es in der Höhe kühler würde. Über Gengenbach, Biberach, Schuttertal, Freiamt legte den bislang schönsten Abschnitt meiner Reise zurück.

Unter Tannen schlängelte sich die schmale Straße bergauf, bergab. Es war tatsächlich kühler und die Freude am Fahren spornte mich zur Höchstleistung an. Mit vollem Gepäck, schleifender Kupplung und Vollgas ging es im Wechselspiel von Licht und Schatten so hart wie möglich durch jede Kurve. Langsamfahrende Autos wurde wie im Tiefflug überholt, eines nach dem anderen verschwand im Rückspiegel. Die Reifen waren heiß und hatten wunderbare Traktion, so dass man die Vespa dermaßen tief in die Kurve drücken konnte, dass beinahe Beinschild, Kicker und Auspuff den Asphalt berührten. In einer Haarnadel bei Sexau Richtung Denzlingen, schlug die Bodenblechverstrebung in voller Schräglage an einer Bodenwelle auf. Funken stoben. Aber egal, Freiburg, meine Heimat, rückte unaufhaltsam näher. Noch einmal schnell tanken, dann eröffnete sich schon das wunderschöne Dreisamtal linksseitig vor meinem Lenker.

 

Geschafft!

 

Schlossberg, Schauinsland, Feldberg, Dreisam, das Münster, alle erstrahlten im gleißenden Licht der Sommersonne. In der Ferne auf der anderen Seite der Rheinebene ließen sich die Gipfel der Vogesen im Schönwetterdunst erahnen.

Was für ein erhabener Anblick! Ich war nach langer Strapaze zuhause angekommen. Diesen Augenblick hatte ich mir hart verdient. Ich genoss ihn in vollen Zügen.

In der WG von Freunden verbrachte ich ein paar schöne Tage mit bestem Wetter und vielen kleineren Ausflügen in den Schwarzwald. Es gibt nichts, was ich an Kiel so vermisse, wie die Berge. Es ist wunderschön auf das weite Meer zu blicken, doch von den Matten des Schwarzwaldes hinab ins Tal und in die Ferne zu schweifen, ist einfach etwas ganz anderes.

Die Reben am Schönberg und im Markgräflerland suchen ihresgleichen in Punkto Schönheit.

Auch meinen Geburtsort St. Peter im Schwarzwald besuchte ich.

Ohne Gepäck lies sich die Vespa viel agiler durch die vielen Kurven treiben. Bergauf wollte sie immer bei Laune gehalten werden. Der Motor ist sehr drehfreudig und besitzt durch den Rennauspuff ein zwar schmales, aber aggressives Leistungsband. Die geschätzten 15 PS haben leichtes Spiel mit dem etwa 65 Kg leichten Fahrzeug und dem ebenso schweren Fahrer. Im Resonanzbereich des Auspuffes zwischen etwa 6000 und 8000 Umdrehungen, wird das Vorderrad auch im zweiten Gang noch sehr schnell sehr leicht. Besonders am Berg fühlt man den schlagartigen Leistungsanstieg und muss sehr bedacht das Gas dosieren. Es gibt nichts Schöneres, als bei bestem Wetter, mit Benzingeruch in der Nase eine Passstraße hinaufzujagen.

Eine wahre Freude. Doch wenn man dann oben angekommen ist, muss man ja auch wieder runter und stellt erschrocken fest, dass die kleinen Bremsen schnellen Abfahrten nicht gewachsen sind. Anhalten und abkühlen lassen ist Pflicht, sonst werden die kleinen Bremstrommeln so heiß, dass sich der Lack kräuselt und abblättert, bis plötzlich die Beläge verglasen und keine Bremsleistung mehr da ist.  Von wegen "Runter kommen sie Alle! Aber da ich dass vorher wusste, kam ich immer gut unten an.

Dann musste ich mich leider wieder von Freiburg verabschieden. Mein Weg führte mich nach Inzlingen bei Basel, wo ich meinen Vater besuchen wollte. Ich hatte ihm im Vorfeld nichts gesagt und wollte ihn überraschen. Nicht zuletzt, da er wenig Begeisterung für meine Vespaleidenschaft aufbringen kann.

Auf der Landstraße hinter Freiburg weiter in Richtung Süden, war der Gegenwind so stark, dass ich fast dauerhaft Vollgas geben musste, um im Leistungsbereich des Motors bleiben zu können. Der Windschatten hinter einem großen LKW verbesserte dann die Lage, und knapp zwei Stunden später erreichte ich mein Ziel. Mein Vater freute sich über die Maßen, denn nicht oft verschlägt es mich aus dem hohen Norden zu Besuch in den südlichsten Süden Deutschlands. Der Abend wurde mit gutem Essen und viel Tannenzäpfle-Bier gefeiert.

Mein Plan war bis hierhin. Weiter hatte ich noch nicht gedacht. Nein, um ehrlich zu sein, hatte ich nicht damit gerechnet, überhaupt so weit zu kommen. Und das alles, ganz ohne Panne!

Wie sollte ich nun heimfahren? Das Wetter kündigte sich ungünstig an, mit heftigen Gewittern, Temperaturabfall, Wind und Regen. Ungemütlich.

Wie es aber der Zufall wollte, war gerade ein Bekannter aus Hamburg auf dem Rückweg von einem Österreichischen Vespatreffen.

Und da es von Hamburg sehr weit nach Österreich ist, und da nicht jeder Vespafahrer so weite Strecken fährt wie ich es tue, war er mit einem kleinen Transporter unterwegs, seine beiden Vespas im Laderaum verstaut. Und es war noch Platz für eine Dritte, für Meine!

Ich musste nur nach München kommen, denn Basel oder Freiburg lagen völlig ab von seiner Route zurück in den Norden. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als meine Vespa in aller Frühe und mit leichtem Kater aufzuladen und nach Osten zu fahren.

 

Der Wind war aufgefrischt und es war über Nacht kalt geworden. Am Rhein in Richtung Rheinfelden und Bad Säckingen überfiel mich dann der Regen. Ich hatte keine wirkliche Regenkleidung dabei, da bei Abfahrt der Wetterbericht für die Zeitspanne der Tour keinen Regen vorhersagte. Da hatte ich geirrt. Nur einen zusätzlichen Pullover hatte ich dabei. Ich wurde nass, mir wurde kalt. Der Regen durchdrang die dünnen, hellen Lederhandschuhe schon in kurzer Zeit. Auch mein Fahrzeug hatte wenig Freude an der Witterung. Eigentlich sind wir beide schlechtes Wetter gewohnt, in Kiel nieselt es ja zu mancher Jahreszeit ununterbrochen. Ich fahre dort bei jedem Wetter meine Vespa im Alltag. Zur Werft und zurück, zur Universität und zurück. Tag ein, Tag aus. Aber plötzlich wurde sie zickig, wollte sich nicht schalten lassen, machte Zündaussetzer, knallte aus dem Auspuff, weil Wasser in die Zündanlage gekommen sein musste. Und noch viele Kilometer bis zum Bodensee, insgesamt etwa 400 Kilometer bis zum Treffpunkt in München. Diese Umstände waren meiner Laune nicht sonderlich zuträglich. Aber was half es? Ich machte erst einmal Pause und gönnte mir ein Brötchen und einen Schluck Wasser.

Wie von Geisterhand öffnete sich auf einmal ein Korridor. Vor mir brach die Sonne durch, hinter mir und neben mir, hingen die finsteren Wolken bis zum Boden. Wieder im wärmenden Sonnenschein trockneten meine Klamotten im Handumdrehen. Der Fahrtwind war willkommen und angenehm. Schaffhausen mit seinem Rheinfall tauchte vor mir auf, nicht mehr weit bis zum Bodensee!

Tanken, fahren, tanken fahren, pausieren, fahren, tanken. Ich wollte schon weiter gekommen sein, als ich war. Langsame LKWs, Stau in den Ortsdurchfahrten, Geschwindigkeitsbegrenzungen, alles bremse mich aus. Irgendwann verlor ich die Geduld und Gab gnadenlos Gas. Auch an engen Stellen kann man überholen, man muss sich nur trauen. Und falls der Gegenverkehr schneller auftaucht als gewünscht, ist immer noch ein wenig Platz zwischen den Spuren für die schmale Vespa. Der Vollgasrausch hatte mich wieder. So sehr, dass ich völlig verdutzt mit etwa 110 Km/h in einen Blitzer rauschte. Die Beamten werden wohl völlig verdutzt eine viel zu schnelle, voll beladene Vespa von vorne sehen, aber kein Nummernschild erkennen können, da nur am Heck eines angebracht ist...

In der Ferne tauchte der malerische Bodensee auf. Das Wasser war diesmal leicht milchig trübe und hellblau wie ein gletschergespeister Gebirgssee in den Alpen.

Die Wolken hingen in den angrenzenden Bergen, unten auf dem See waren einige mutige Segler zu sehen, die sich trotz der blinkenden Sturmwarnlichtern auf dem Wasser tummelten. Die Route führte auf der B31N am See entlang, über Friedrichshafen bis Lindau. Dort wurde noch einmal schnell getankt und dann die Vespa auf die A96 nach München gelenkt.

Der Motor brummte unbeirrt sein Lied und die Kilometer flogen nur so dahin.

Dann wurde wieder der Sprit knapp und die nächste Tankstelle kündigte sich erst in 50 Kilometern an. Also musste ich von der Bahn abfahren und am schönen Ammersee eine Tankstelle suchen. Weiter durch München hindurch auf die A9 Richtung Nürnberg. Dort wie mit meinem Vespafahrerkollegen verabredet an der ersten Ratstätte Halt gemacht. Ich hätte es nicht gedacht. Ich war gut in der Zeit, was bei einer solchen Strecke und dem unsicheren Gefährt durchaus eine Leistung ist. Und keine zehn Minuten später traf auch er dort ein. Perfektes Timing! Die Freude war groß, denn es hätte nicht besser funktionieren können. Bald war meine kleine, hellblaue Vespa zwischen seinem Renner und seinem wassergekühlten, mit 35 PS versehenen Supersprintnachbau im Lieferwagen eng an eng verzurrt und das Gepäck verstaut. Regen zog auf. Der Tag war gerettet, ich saß im Trockenen.

Die Fahrt nach Hamburg verlief ruhig, ohne Stau und ohne Probleme. Irgendwann nach Mitternacht kamen wir in Hamburg an seiner Gemeinschaftswerkstatt an. Ich war völlig erschöpft.

 

Jetzt noch im Nieselregen nach Hause fahren, noch einmal hundert Kilometer nach Kiel? Lieber nicht. Freunde in Hamburg um Unterkunft bitten? Zu spät. Außerdem war das ganze Gepäck abgeladen, bis ich wieder ausgeladen hatte und mit dem fast leeren Handyakku durch Hamburg zu irgendeinem Bekannten manövriert hätte, wäre noch mal mindestens eine Stunde vergangen. Aber wie die Gastfreundschaft nun mal unter Vespafahrern ist, durfte ich in der warmen, gemütlich Werkstatt nächtigen, umgeben von einigen der berühmtesten Fahrzeuge, Umbauten und Selbstbauten der Szene. War ich müde.

 

Nach einem wohlverdienten Feierabendbier schlief ich dann endlich auf dem Sofa in der Werkstatt ein, Benzingeruch in der Nase, bunte Bilder der Revue passierenden Tour im Kopf. Fast geschafft. Fast zuhause.

Der nächste Morgen kam schnell. Die Sonne schien durch die Eingangstür und wärmte so sehr, dass ich aufwachte. Es war die beste Entscheidung, über Nacht hier zu bleiben. Im Hellen lies sich das Gepäck auch viel angenehmer aufraffeln. Die letzten 100 Kilometer lagen vor mir. Aus Hamburg heraus schlängelte ich mich durch den typischen Stau hindurch, bis ich auf der B4 der kleinen Vespa die Sporen geben konnte. Noch einmal den Fahrtwind spüren, die Landstraße vor mir, die Landschaft im Rückspiegel. Der Wind war so stark geworden, dass ein paar Mal die kleinen Reifen dem Druck nachgaben und das Fahrzeug einen weiten Satz zur Seite machte und beinahe die weiße Begrenzungslinie überquerten, aber davon darf man sich nicht beirren lassen. Die kühle Nordluft tat dem Motor gut und hinderte ihn am Überhitzen. Vollgas. Neumünster. Nur noch 30 Kilometer. Tanken. Kiel Ortseinfahrt. Kiel Innenstadt. Schon lange hatte ich nicht mehr das Gefühl, in der großen weiten Welt alleine unterwegs zu sein, fernab von zuhause. Schon lange war ich wieder auf mir von kleinen Touren bekannten Straßen unterwegs. Die Ostsee war rau, schäumende Wellen und scharfer Wind begrüßten mich in meiner Wahlheimat. Hier war ich mit meinem Kennzeichen kein Fremder mehr, der verständnislose Blicke auf sich zog. Der ein oder andere Freund lief mir noch auf den letzten Metern über den Weg und hob die Hand zum Gruß. Und endlich stand ich vor der Eingangstür zu unserem Hinterhof, auf dem wir immer schrauben.

Eigentlich schade, meine Abenteuerlust war noch lange nicht gestillt. Am liebsten wäre ich schnell in die Wohnung gelaufen, hätte geduscht, Proviant und Wasser nachgefüllt und wäre gleich wieder losgefahren ins Ungewisse. Baltikum? Skandinavien? Ich war noch nie in Schweden... nächstes Mal vielleicht.

 

Angekommen. Was für eine Tour.

Die Nächste kommt bestimmt! :)

 

Das Fahrzeug

 

Meine kleine Vespa ist ein französischer Lizenzbau aus dem Jahre 1975. Es handelt sich um einen ziemlichen Exoten, eine so genannte "Pedalo". Pedalo, weil sie interessanterweise früher ab Werk Pedale besaß. Sie befanden sich am verschmälerten Trittblech, ziemlich unzugänglich unter dem Fahrer. Seitlich führte eine Kette in einem Kettenkasten direkt zur hinteren Bremstrommel, auf die ein Ritzel mit Freilauf geschraubt war. Man baute sie nur in Frankreich mit dem Ziel, Jugendliche, die noch keinen Führerschein besaßen, für das Vespafahren zu begeistern. Denn ein Zweirad mit Pedalen, 50ccm Hubraum und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 49 Km/h war per Definition ein Mofa, welches ohne Führerschein und Kennzeichen ab 14 Jahren bewegt werden durfte. Aber das Modell fand kaum Anklang, so dass nur entsprechend wenige Exemplare gebaut wurden. Was ich nicht wusste, ist, dass meine Vespa also eine ziemliche Seltenheit ist. Das macht aber auch nichts, denn ich will schließlich fahren. Meine Pedalo habe ich vor einigen Jahren zufällig für 350 Euro im Elsass erstanden. Der Zustand war schlecht, aber nicht irreparabel. Der Pedaltrieb war nicht mehr vorhanden. Er ist auch nur für Sammler von Belang, nicht für Fahrer. Der originale, leistungsschwache 50ccm Motor wurde mit Komponenten der Primavera auf Langhub umgebaut. Nun besitzt er stattlich 133ccm (Polinizylinder), eine Kurbelwelle mit 51mm Hub, eine elektronische Zündung mit 12 Volt und besserer Lichtleistung, einen völlig offenen 30mm Dellorto-Vergaser und einen englischen PM40 Rennauspuff. Zudem wurden die Überströmer und der Einlasstrakt vorsichtig bearbeitet und angepasst, damit der Gasstrom ohne Kanten und Hindernisse fließen kann.

So leistet das Triebwerk nun etwa 15 PS und beschleunigt die Pedalo dank langer Getriebeübersetzung auf bis zu 120 Km/h Höchstgeschwindigkeit. Das ist durchaus beachtlich. Um so beachtlicher ist, dass alle Komponenten diese Leistung schon seit vielen tausend Kilometern dauerhaft aushalten. Da habe ich wohl gut geschraubt.

Schwachstelle sind die kleinen, gusseisernen Bremstrommeln mit den uralten 9 x 2.75 Zoll Reifen. Bei Sportmodellen von Anfang an und bei späteren Modellen wurden Aluminiumtrommeln mit eingepresster Stahllauffläche verwendet, was die Bremsleistung und die Thermik deutlich verbessert. Auch die größeren 10 x 3.00 Zoll Reifen sorgen für deutlich besseres Fahrverhalten und sind überdies in guter Qualität neu erhältlich.

Ich muss unbedingt auf moderne, größere Reifen umrüsten. Besonders im Regen und bei hohen Geschwindigkeiten schwimmt die Pedalo regelrecht auf dem Asphalt. Auch eine angepasste, umgebaute Scheibenbremse ist eine Überlegung wert.

Ich glaube ich fahre die schnellste Pedalo von Deutschland, wenn nicht sogar von der ganzen Welt. Ich hab bei meinen Recherchen keine einzige gesehen, die einen solchen Motor hat und so viel bewegt wird. Natürlich wird sie dementsprechend viel gewartet und gepflegt und ständig verbessert. Aber sie wird auch nicht geschont, sondern artgerecht bewegt. Fast jeden Tag lege ich mit ihr ca. 30 Kilometer von Kiel zur Werft zurück, in der ich mir auf einem alten Eisbrecher neben dem Studium ein hartes Taschengeld für meine Vespaleidenschaft dazuverdiene. Im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter. Noch nie hat mich meine Vespa im Stich gelassen, nur einmal bin ich aus der Kurve geflogen. Zum Glück ist nichts passiert.

So werde ich sie auch weiterhin fahren.

Und jetzt, am Donnerstag, packe ich wieder meine Vespa voll und fahre 400 Kilometer nach Berlin um meine Freundin zu besuchen, die ich viel zu lange nicht mehr gesehen habe. Ich freue mich schon sehr. Irgendwann besorge ich auch ihr eine Vespa, dann können wir zusammen fahren.